L. Koch, Eckernförde
Anamnese, Untersuchungsbefund, Röntgenanalyse, evtl. weitere Untersuchungen
(Labor, bildgebende Verfahren, etc.) führen bei den meisten
bewegungsgestörten, entwicklungverzögerten oder asymmetrischen
Kindern zu einer Diagnose. Wird die Diagnose kopfgelenkinduzierte
Symmetriestörung (KISS) gestellt22,26,166 ist die nachfolgende
Therapie ein moderater Impuls auf die asymmetrisch stehenden
Kopfgelenke.
In etwa drei Viertel der behandelten Kleinkinder erreicht man mit einmaliger
Behandlung das Therapieziel „Symmetrisierung“.
Kontrolluntersuchungen nach ca. 4 Wochen, 6 Monaten und dann nach dem
nächsten größeren Wachstumsschub werden angestrebt.
Wir benutzen zur Diagnosefindung einen Befundbogen (Abb. 1). Dieses
Raster zu vervollständigen und zu ergänzen ist unser ständiger
Antrieb.
Die tägliche Erfahrung mit den kleinen Patienten und der Austausch
mit ärztlichen Therapeuten, vor allem aber mit den behandelnden
Physiotherapeuten hat dieses Diagnoseraster verfeinert. Trotzdem werden
nicht sofort alle schwerwiegenden Pathologien wie zum Beispiel
strukturerkrankungen (Tumoren, Anomalien ) oder neurologische Erkrankungen
(Cerebralparese) sichtbar. Manche Auffälligkeiten lassen sich
erst nach einiger Zeit als pathologisch erkennen. Das Raster hilft
zusammen mit der Erfahrung des Therapeuten, Hinweise zu finden und richtige
weitere Schritte einzuleiten.
Diagnosebogen:
Betrachten wir das Raster, das wir benutzen, um die Diagnose zu stellen.
Die Anamnese ist gegliedert und ermöglicht, die vorhandenen Symptome zeitlich zu sichten und einer Ursache zuzuordnen.
– Schwangerschaft und Geburt,
– neurophysiologische Entwicklung,
– vegetative Entwicklung,
– verzögerte / gestörte Entwicklung.
Weitere Informationen ergeben sich aus den Unterlagen aus Voruntersuchungen
oder Vorbehandlungen (Mutterpaß, Vorsorgeheft,
Klinikberichte, Überweisungshinweise etc.).
Die Untersuchung nach manualmedizinischen und pädiatrischen Grundsätzen
vervollständigt das Bild. Die von Bobath, Flehmig und
Vojta32,81,270 beschriebenen Untersuchungen des Entwicklungstandes
der Kinder, insbesondere die Prüfung der Lagereaktionen, sind
hilfreich.
Als wichtiges Hilfsmittel steht uns die Röntgendiagnostik der
Wirbelsäule nach den von Gutmann beschriebenen Grundsätzen96
zur Verfügung.
Bei speziellen Fragestellungen sind weitere bildgebende Verfahren heranzuziehen.
Es ist bekannt, daß Spinaltumoren oder dysplastisch angelegte
Wirbelkörper „Skoliosen und Schiefhals“ als Leitsymptom haben
können35,48,164,181,203,268,283. Wir wissen auch, daß der
anfängliche Erfolg manueller Therapie keine Garantie dafür ist,
daß sich nicht
Massiveres hinter dem klinischen Bild verbirgt. Um so wichtiger ist
es, die seltenen Kasuistiken sehr genau zu analysieren, um so nach
Kriterien zu suchen, die uns hellhörig machen sollten. Dazu sollen
2 Fallbeispiele helfen, die Fußangeln und Fallgruben zu erkennen,
um dann
die richtigen und nötigen Schlußfolgerungen zu ziehen.
Diskussion:
Findet man bei der Diagnostik von Kleinkindern mit Asymmetriesymptomatik
morphologische Besonderheiten, so hat das vor allem
Konsequenzen für die Prognose und die Häufigkeit der Nachbehandlung26.
In den Fällen mit Fehlhaltungen der Wirbelsäule bei vorhandenen
Halbwirbelbildung muß man davon ausgehen, daß eine schnelle
Symmetrisierung nicht möglich sein dürfte. Trotzdem ist man immer
wieder
erstaunt, wieviel Kompensationsmöglichkeiten das Achsenorgan bei
derartig asymmetrischer Morphologie hat. Ein solcher Befund kann durch
eine Kombination von sparsamer Manualtherapie der Wirbelsäulenpole
und eine angepaßte Physiotherapie spürbar gebessert werden.
Das Auffinden der seltenen Fälle mit einem ernsten Hintergrund
ist überaus wichtig. Dabei hilft die Erfahrung vieler anderer Fälle.
Es ist zum
geringen Teil ärztliche Intuition, aber mehr noch die Erfahrung
mit vielen Kindern, die uns bei bestimmten Konstellationen zögern
läßt und
vorsichtig macht. Welche Faktoren können uns auf einen
dysplastischen oder
raumfordernden Prozeß als Ursache hinweisen? Welche diagnostischen
Möglichkeiten sollte man dann zuziehen? Wie sollte das Vorgehen zur
Vermeidung von Risiken gestaltet werden?
Es gibt so etwas wie eine adäquate Vorgeschichte bei KISS- Kindern.
Gleichen wir die Vorgeschichte mit der Röntgenbefund und der
klinischen Untersuchung ab, so soll die Tendenz in die gleiche Richtung
gehen. Bei einer rechtskonvexen Skoliosierung erwarten wir eine
Mikrosomie des linken Gesichtes und eine Abplattung des rechten Hinterkopfes,
eine pathologische Vojta-Reaktion beim Kippen nach links,
eine entsprechende Asymmetrie bei Collis und Landau. Die obersten beiden
Halswirbel sind in Richtung der Konvexität gegenüber dem
Okziput desymmetrisiert.
Sind weitere Diskrepanzen zu erkennen, paßt z. B. das Einsetzen
der Beschwerden nicht zum typischen Bild, so sollten uns diese Hinweise
hellhörig machen. Das Fehlen von Geburtstrauma, motorischer Asymmetrie,
vegetativer Symptome, Entwicklungsverzögerungen oder anderer
in unserem Befundraster aufgezeigten Hinweisen ist atypisch. Progredienz
der Beschwerden ist ebenfalls atypisch für eine KISS- Symptomatik
und läßt sich aus einer gut erhobenen Anamnese herausarbeiten.
Die Forderung jeden Torticollis bei Kleinkindern so lange als stark
tumorverdächtig zu behandeln, bis das Gegenteil erwiesen ist, scheint
hoch
gegriffen. Jedoch es ist gut, wenn diese Möglichkeit in der Abwägung
immer parat ist.
Einige differentialdiagnostische Merksätze:
? Man nur sieht, was man kennt.
? Es gibt einen passenden und einen unpassenden funktionellen
Untersuchungsbefund an der HWS.
? Je mehr Variablen als auffällig im Raster erscheinen,
desto eher ist die Diagnose Kopfgelenk-induzierte Symmetrie-Störung
wahrscheinlich!